Die Wanderhure by Lorentz Iny
Autor:Lorentz, Iny [Lorentz, Iny]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783426555699
Herausgeber: Knaur eBook
veröffentlicht: 2010-10-12T22:00:00+00:00
V.
Am nächsten Morgen weckte Hiltrud Marie, als die Geräusche in der nahen Herberge verrieten, dass der Wagenzug zum Aufbruch vorbereitet wurde. Sie hörte die Fuhrknechte über die störrischen Ochsen fluchen und wünschte den Männern die Seuche an den Hals, denn sie ärgerte sich immer noch über die Abfuhr, die ihnen der Anführer erteilt hatte, und den Spott, mit dem seine Leute sie bedacht hatten. Hiltrud tröstete sie schließlich damit, dass Gerlind und die anderen ihnen mit Sicherheit gefolgt wären.
Da Marie ganz in der Nähe ihres Lagerplatzes noch etwas trockenes Gras und Gestrüpp fand, konnten sie das Feuer neu entfachen und mit den Resten an Fett, Mehl und Honig ein paar Pfannkuchen backen. Berta, die eine gute Nase hatte, hob den Kopf und schnupperte. Ihre Hartnäckigkeit wurde belohnt, denn Hiltrud reichte ihr schließlich einen der Pfannkuchen hin, obwohl es nicht einmal genug für sie und Marie waren. Bertas Dankbarkeit beschränkte sich darauf, den anderen zu berichten, dass Marie und Hiltrud ihnen nichts abgegeben hätten.
Als die Huren kurz darauf ihr Lager abbrachen und weiterzogen, ernteten die beiden etliche vorwurfsvolle Blicke. Märthe stellte sich Hiltrud in den Weg und stemmte die Arme in die Hüfte. »Normalerweise teilen Reisegefährtinnen alles miteinander. Aber bei euch heißt es wohl auch, selbst essen macht dick.«
»Du kennst doch das Sprichwort vom Wald und wie es daraus zurückschallt. Ihr wollt die Tatsache ausnützen, dass ihr zu viert seid, um Marie und mich um ein Viertel unserer Einnahmen zu bringen. Dafür kannst du keine Dankbarkeit erwarten.«
»Dann solltet ihr langsam damit anfangen, etwas zu verdienen«, keifte Märthe zurück.
Berta baute sich neben Märthe auf und versuchte, größer auszusehen, als sie war. »Außerdem könntet ihr ein Viertel dessen herausrücken, was ihr in St. Marien am Stein verdient habt.«
Hiltrud ließ sich nicht einschüchtern. »Unsere Gemeinschaft begann in dem Augenblick, in dem wir St. Marien verließen. Ich sehe keinen Grund, euch schon jetzt Geld zu geben.«
Gerlind verzog das Gesicht und stieß ihren Stock auf die Erde. »Wie du meinst.« Es klang beinahe wie eine Drohung.
Hiltrud zuckte mit den Schultern und ging wortlos um Berta und Märthe herum. Die Ziegen folgten ihr meckernd, so dass die junge Hure beiseite springen musste, weil ihr der Wagen sonst über die Füße gerollt wäre.
Kurz nach Mittag erreichten sie das Städtchen Wallfingen. Gerlind und ihre Gefährtinnen schlugen die Zelte auf, um auf Freier zu warten. Marie und Hiltrud errichteten ebenfalls ihre Zelte, aber mehr um ihrer Privatsphäre willen, als um Kunden zu bedienen, denn der Markt in Wallfingen war zu klein, um Fremde in größerer Zahl anzulocken, und den Einheimischen standen die Mägde des hiesigen Hurenhauses zur Verfügung. Die beiden Freundinnen waren trotzdem guter Dinge und ärgerten sich auch nicht über den Marktaufseher, der wie ein Falke auf die Huren zuschoss, um ihnen die Marktsteuer abzunehmen, obwohl die Händler ihre Stände nicht hier draußen auf der Wiese, sondern in der Stadt auf dem Platz zwischen Rathaus und Kirche aufgebaut hatten. Vor der Stadt gab es nur einige Pferche, in denen vereinzelt Ziegen und Schweine zum Verkauf feilgehalten wurden, und eine
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